Dr. Murad Wilfried Hofmann (Deutschland)


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Wie für einen Westeuropäer typisch, begegnete ich der islâmischen Welt nicht etwa zuerst über Al-Ghazâlis „Elixier der Glückseligkeit“, sondern recht kursorisch im Geschichts- und Religionsunterricht sowie in den Reiseschilderungen von Karl May.

Die Geschichtserläuterungen waren noch von der Sicht der Kreuzfahrer mitgeprägt; im Religionsunterricht erschien der Islâm als nachchristlicher Anachronismus. Und Karl Mays exotische Romantik ließ die Welt des Islâm eben auch im orientalischen Stereotyp von Scheherazade erstarren.

Gleichwohl empfand ich schon damals eine starke Zuneigung zur Islâmischen Kunst, wie sie mir in Berliner Museen, besonders aber in Spanien- mit der großen Moschee von Cordoba, der Giralda von Sevilla, der Alhambra von Granada (als Vorgeschmack des Paradieses) – erstmals begegnete. Ich ahnte die gewaltige Bewegung, die über 1000 Jahre hinweg von Andalusien bis Indien ethnisch- regionale Traditionen und Formgebungen dergestalt umbilden konnte, dass islâmische Kunst ohne jede Erkenntnistheoretische Vorbildung unverwechselbar zu identifizieren ist.

Besondere Faszination übten auf mich von jeher, die ins Ikonographische reichende, aber hadithkonforme Islâmische Kalligraphie aus, der Spitzbogen als spannungsreichste, dynamischste Lösung dieses architektonischen Problems sowie die abstrakte Ornamentik dessen, was wir „Arabeske“ nennen.

Dann führte mich mein Berufsleben zu unmittelbaren Kontakt mit Islâmischen Ländern – Algerien, Jugoslawien, der Türkei. Die Begegnung mit den monumentalen Zeugnissen des Islâm in diesen Regionen – sei es in Algier, im M´Zab, in Kairouan, Sousse, Sarajevo oder Mostar, Istanbul, Edirne oder Konya – regte mich zum Studium der geistig-religiösen Grundlagen dieser islâmgeprägten Umwelt stärker denn je an.

Wichtiger jedoch war das Erlebnis dessen, was den algerischen Muslimen während des mörderischen Bürgerkriegs bis 1962 möglich war. Ganz offenbar auf ihren Glauben gestützt, ertrugen sie in stoischem Gleichmut unglaubliche Provokationen und schmerzlichstes Leid. Dies besser ergründen zu können, las ich erstmals – in französischer Übersetzung – den Qurân, über den ich bis dahin nur Goethes oft zitiertes Urteil kannte. (Ich habe den Qurân seither mehrfach gelesen – in mehreren deutschen Übersetzungen und zu einem kleinen Teil auch in unterschiedlichen türkischen Fassungen. Dabei ist mir die Fragwürdigkeit jeder Qurân-Übersetzung, weil sie nämlich unvermeidlich eine Qurân-Interpretation ist, einsichtig geworden.)

Damals, vor allem aber im späteren Umgang mit albanischen Muslimen des Kosovo, Bosniern und Türken, wurde mir bewusst, wie allgegenwärtig ihnen ihre absolute kreatürliche Bedingtheit war, wenn sie täglich hundertmal nicht nur als Formel „inschâ’ Allâh“ und „mâschâ’ Allâh sprachen. Und so begann ich mich tiefer in die Theologie, aber auch in die Scharî‘a des sunnitischen Islâm zu versenken. Erstmals 1978 beachtete ich probeweise in der letzten Woche des Monats Ramadân die Fastenregeln.

Ich empfand dies als moralisch bestärkend (Selbstdisziplin) und physisch entschlackend. Darüber hinaus konnte ich mich der Symbolträchtigkeit dieses Tuns natürlich nicht entziehen.

Jeder „apostatische“ Christ weiß, dass es zunächst einem „Denken des Undenkbaren“ gleichkommt, die Gottesnatur von Jesus vorbehaltlos in Frage zu stellen. Auch ich war dazu erst bereit geworden, nachdem ich eine lange Phase des philosophisch begründeten Agnostizismus durchlaufen hatte, gekennzeichnet von einer erkenntniskritischen Skepsis, welche ich unter Orientierung an Ludwig Wittgenstein sprachkritisch untermauerte. Überzeugt davon, dass metaphysisches Wissen über Sinneserfahrungen nicht erfahrbar ist, prüfte ich, ob wir a priori Einsichten hätten. Ich kam zu dem Ergebnis, dass es zwar mit dem Sein kongruente Denkstrukturen geben mag, dass dies jedoch keine verlässliche Basis für die Beantwortung der metaphysischen Fragestellungen ist, deren Beantwortung der Mensch zeitlebens versuchen muss, will er nicht seiner intellektuellen Würde verlustig gehen.

Damit war ich auf den dritten, letzten Weg der Erkenntnis zurückverwiesen: den Weg authentischer, axiomatisch nicht ausschließbarer Offenbarung. Auf diesem Wege also kam ich von der Ausgangstatsache, dass es ein Sein gibt, das nicht aus Nichts entstanden sein und nicht im Nichts existieren kann, zur Vorstellung von Gott zurück. Gott nämlich als Antwort auf die Urfrage nach Kausalität und Finalität. Die Antwort darauf gibt der Qurân: „Er ist der Erste und der Letzte, der Offenbare und der Verborgene.“ (Sûra 57:3)

In diesem Stadium wurde mir klar, dass dem Islâm die am kategorischsten einfache, abstrakteste, also entwickelste Gottesidee zugrunde liegt. Ich verstehe dies wie folgt: Die Entwicklung der Vorstellung von einem einzigen, in seiner Erhabenheit unbegreiflichen Gott, war in der Menschheitsentelechie enthalten. Aus der polytheistischen Erklärung von Naturphänomenen musste sich über eine konkurrierende Götterhierarchie schließlich die Vorstellung eines obersten Gottes herausschälen. Der Zoroastrismus der Sassaniden, nämlich die Reduzierung der Götterwelt auf einen Dualismus, war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung; die mosaische Vorstellung eines einzigen Gottes des Stammes Israel ein weiterer.

Den endgültigen Durchbruch zur Erkenntnis eines einzigen, liebenden Gottes für alle brachte das Christentum. Doch wurde gerade dies durch die wörtliche Auslegung der Gotteskindschaft Jesus im Trinitätsdogma wieder verfälscht. In dieser Sicht war Muhammad  möge Allah ihn in Ehren halten und ihm Wohlergehen schenken der notwendige Vollender der Ein-Gott-Idee (Lâ ilâha illa-llâh) und das Siegel der vorausgegangenen Propheten (wa Muhammad Rasûlu-llâh), der die Bewunderung für Jesus und seine Leistung – wenn man richtig bedenkt – nur noch erhöht hat. Dass es sich in der Tat nicht Diffamierung, ja um Rehabilitierung von Jesus (Durch richtige Religionsgeschichtliche Einordnung) gehandelt, hat der Qurân in den im Felsendom zu Jerusalem nachzulesenden Versen (vor allem 4:171 und 172), aber auch in 19:34-365, klargestellt. (Vor diesem Hintergrund empfinde ich allerdings die Schia als eklektischen Rückfall in vorislâmische, vor allem manichäische Vorstellungen).

Von gleichgroßer Bedeutung für meine Hinwendung zum Islâm – die existentielle Unterwerfung durch Willensakt unter Gott – war ferner die Erkenntnis, dass im Islâm auch die Kommunikation zwischen Muslim und Allâh - dem Erhabenen - im Prinzip die religionsgeschichtlich modernste ist. Gemeint ist Folgendes: Alle früheren oder späteren Religionen sind dem primitiv-menschlichen Bedürfnis nach einem klerikalen Vermittlertum zu Gott nachgekommen. Wer aber diesem ursprünglichen Verlangen nachgibt – in der Praxis muss auch der Islâm sich immer wieder der Versuchung dazu erwehren – fällt unvermeidlich Schamanentum, Kastenwesen, Tabus und Magie anheim. (Ob man dies Priestertum, mit höheren Einsichten begabte Imame, Sakramentenlehre, Opfergaben, Heiligen- oder Marabutverehrung nennt, bleibt letztlich einerlei).

Es charakterisiert nun seine Stärke und Modernität (und widerspiegelt auch so sein wahrhaft göttliches Gottesbild, wie es im Thronschemelvers, 2:255, und der 112. Ichlas-Sûra so schön zum Ausdruck kommt), dass der Islâm ohne Liturgie, kirchliche Hierarchie und Dogmatik und ohne Priestertum auskommt. Der Muslim ist daher wie kein anderer existentiell auf sich selbst und auf seinen Gott verwiesen. Richtig verstanden, gibt es für ihn keine Flucht in das Ritual, aber auch nicht die Möglichkeit, ihn durch staatliche Bevormundung von seinem Gott abzuschneiden. Im Gegensatz zu manchen eher zeitbezogenen Richtlinien des madînischen Qurân gaben diese beiden zeitunabhängigen Schlüsselelemente des Qurân von Makka für mich den Ausschlag, mich schließlich zu bekennen. Damit deklarierte ich, was ich heranreifend bereits geworden war: Al-Hamdu li-llâh, ein Muslim westlicher Herkunft, dem es gerade wegen seiner soziokulturellen Vorprägung aufgegeben ist, mit Muslimen der arabischen Kulturwelt dasjenige herauszuarbeiten, was den Islâm in theologisch-philosophischer Revitalisierung zu einer globalen Kraft in der globalen Auseinandersetzung mit dem Atheismus marxistischer Prägung machen kann.

Inschâ’ Allâh.
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