„Flow“, Fasten und Falaah (teil 1 von 2)
Ich bin mit Schweiß bedeckt und mein Herz rast bis zum Dach. Ich könnte gehen, und mein Körper rät mir, mich zu setzen oder zumindest zu gehen, doch ich trete in die Pedalen, treibe mein Mountainbike über den steinigen Weg. Ich kann nicht genug Luft in meine Lungen bekommen, um meine brennenden Beine zu versorgen, aber ich mache weiter.
Keiner zwingt mich, auf diesen Berg zu fahren. Es ist keine grausame Strafe, die ein Tyrann für Fehlverhalten verhängt hat. Ich habe es mir ausgesucht, dies zu tun. Warum? Wegen der Abfahrt, die auf den schmerzhaften Aufstieg folgt? Teilweise, aber dann hat es eine eigene Verrücktheit, einen Hügel hinunter zu rasen über Steine und Wurzeln mit Geschwindigkeiten, bei denen ein Zusammenprall ernsthafte Verletzungen oder Schlimmeres nach sich ziehen würde, aber das Lächeln, das sie auf meinem Gesicht hinterlässt, wenn ich unten ankomme, bleibt noch lange in meinem Herzen, nachdem es mein Gesicht verlassen hat. Also noch einmal: Warum? Nachdem ich auf meinem Mountainbike gefahren bin, nach zermürbenden Aufstiegen und technischen Abfahrten, fühle ich einen tiefgründigen Sinn der Freunde, die nur davon kommt, wenn man etwas Lohnendes erreicht hat. Das Paradoxe ist, dass ich leiden musste, um dies zu fühlen. In der Tat, je schwerer die Aufgabe ist, desto tiefgründiger und länger anhaltend ist das Gefühl der Erfüllung. Ist dies der Grund, aus dem manche Frauen es schaffen, viele Kinder zu haben, trotz des enormen Schmerzes und der Schwierigkeiten, die dies mit sich bringt, nicht nur mit der Schwangerschaft und der Geburt des Kindes, sondern mit dem Aufziehen, wegen dem tiefgründigen Gefühl, etwas erreicht zu haben, das unbestreitbar verbunden ist mit dieser Aktivität?
Dieser Sinn der tiefgründigen Freude und Zufriedenheit ist das, was als optimale Erfahrung bekannt geworden ist, und was gemeinhin als ein Strömungszustand bezeichnet wird. Er ist am intensivsten, wenn eine Person vollständig von einer Aktivität eingenommen ist, wenn Körper und Geist eins sind, und alles einfach „passiert". Sie wird am häufigsten beim Sport verspürt, aber tatsächlich kann sie auch bei einer großen Auswahl an körperlichen wie geistigen Aktivitäten erreicht werden, die jedoch alle einige gemeinsame Züge aufweisen müssen. Dieser Zustand der optimalen Erfahrung oder des Flow („Fließens") wird nur unter bestimmten Bedingungen erreicht, die identifiziert wurden.
Erstens: die Aktivität darf weder zu schwer, noch zu leicht sein. Wenn sie zu schwer ist, wird die Person demotiviert; ist sie zu leicht, wird sie gelangweilt. Idealerweise sollte sie am äußersten Rande unserer Fähigkeiten liegen, bis an die Grenze reichen und aus der bequemen Zone heraus ragen. Der Grund hierfür ist, auch wenn die Aufgabe schwer zu sein scheint, oder auch unangenehm, ist das Endergebnis das Wissen, dass man sich selbst verbessert hat. Dieses Gefühl, dass man sich verbessert hat, ist der Schlüssel, denn es ist verbunden mit dem Selbstwertgefühl der Person. Dies wird verstärkt, wenn man zu dem Wissen, das man hat, etwas beiträgt, auch ein klein wenig zum Wohl der Menschheit.
Zweitens: die Aktivität sollte definiert sein, ein bestimmtes Ziel haben und ein sofortiges Feedback liefern.
Drittens: eine weitere wichtige Dimension ist, dass die Aktivität autotelisch sein muss. Dies bedeutet, dass die Aktivität für sich selbst getan wird; im Gegensatz dazu steht, wenn man es für einen externen Faktor tut. Manche Menschen haben autotelische Persönlichkeiten. Diese Menschen, die innerlich angetrieben sind, können einen Sinn und Neugier zeigen. Diese Zielstrebigkeit ist eine andere, als äußerlich angetrieben zu sein, wo Dinge wie Bequemlichkeit, Geld, Macht oder Ruhm die antreibende Kraft sind, wie Mihaly Csikszentmihalyi in seinem Buch schreibt (Finding Flow: The Psychology of Engagement with Everyday Life).
"Eine autotelische Person braucht wenig materiellen Besitz und wenig Unterhaltung, Komfort, Macht oder Ruhm, denn so vieles, was er oder sie tut, ist bereits lohnend. Weil solche Personen Flow in der Arbeit verspüren, im Familienleben, in ihren Interaktionen mit anderen Menschen, beim Essen, sogar beim Nichtstun, wenn sie allein sind, sie sind weniger von äußeren Belohnungen abhängig, die andere motivieren, mit einem Leben voller Routine weiter zu machen. Sie sind autonomer und unabhängiger, denn sie können nicht so leicht mit Drohungen oder Belohnungen von Außen manipuliert werden. Zur gleichen Zeit sind sie mehr an allem um sie herum beteiligt, denn sie sind völlig im aktuellen Leben eingetaucht."
Es gibt Leute, die den Kampf auf dem Weg zu wahrer Freude angetreten haben.
Immer wieder werden Menschen in Umfragen gefragt, was sie denken, welcher der wichtigste Schlüssel zum Glück ist, und die Antwort ist immer dieselbe: Geld. Wenn es nicht Geld ist, dann ist es irgend etwas äußeres, das damit verbunden ist. Die Menschen denken, dass Entspannen, Film schauen, Musik hören, Alkohol trinken oder Drogen nehmen oder Geschlechtsverkehr haben, seien Aktivitäten, die einen glücklich machen, und es ist sicherlich richtig, dass während man an ihnen beteiligt ist, diese zu erhöhten Zuständen führen. Tatsächlich zeigen Nachforschungen, dass Menschen, wenn sie gebeten werden, derartige Erfahrungen zu bewerten, während und nachdem sie damit befasst sind, sie die Intensität des Glücks als gering bewerten. Die Dinge, die die Menschen in punkto Glück tatsächlich am höchsten bewerten, sind die "Flow"- Erfahrungen. Vielleicht ist Glück nicht einmal das richtige Wort für diesen Zustand, denn er ist tiefgründiger und langanhaltend. Der springende Punkt ist, dass die meisten von uns denken, dass Glück an materiellen Dingen hängt, und wir bieten große Mengen an Zeit und Mühe auf, um zu versuchen, ein größeres Haus, ein schnelleres Auto, modischere Kleidung, reizvollere Partner zu erhalten, aber die Freude, die wir an diesen Dingen haben werden, verschwindet sehr bald. Es wird hedonistische Entropie genannt. Bald genug werden wir mit den Dingen vertraut und gelangweilt, sobald wir sie bekommen, und wir streben nach etwas neuem, schnellerem, reizvollerem, größerem, besserem und wenn wir es bekommen, sind wir bald wieder gelangweilt. Es ist der Traum von dem Streben nach Glück durch Äußerlichkeiten, der die Konsumgesellschaft antreibt. Es ist ein Traum, der natürlich eine Lüge ist. Dinge machen Menschen nicht glücklich. Glücklich sein, ist ein innerer Zustand. Er wird durch Anstrengung erreicht, durch den Kampf etwas zu meistern und um sich selbst zu kontrollieren und um etwas zu erreichen, das sich lohnt.
Man könnte kaum zwei unterschiedlichere Vorstellungen von Glück finden. Eine ist durch Genusssucht, und die andere über Selbstdisziplin und Kontrolle der Launen und Wünsche, also wird immer deutlicher und die Beweise türmen sich auf, was den Menschen tatsächlich glücklich macht.
Es ist paradox. Um wahres Glück zu fühlen, muss man kämpfen. Je edler der Kampf desto größer, langanhaltender und tiefgründiger ist die Freude. In diesem Zusammenhang ist deutlich zu sehen, warum religiöse Menschen glücklichere Leben führen. Alle organisierten Religionen eignen sich aufgrund ihrer Organisation zur optimalen Erfahrung und Entwicklung einer autoletischen Persönlichkeit. Warum ist es so wichtig, organisiert zu sein? Dies ist einfach mit Selbstdisziplin verbunden und mit der Anordnung von Bewusstsein. Durch regelmäßiges Gebet, Hingabe, Fasten, Almosen usw.… lernt eine Person Selbstkontrolle und Disziplin. Sie tun diese Dinge nicht nur, wenn sie sich danach sehnen, sondern sie tun dies unabhängig von den Gefühlen, die sie haben. Dies sind einfache Lektionen von Selbstbeherrschung.
Die Geschichte, die wir alle viel zu oft hören, ist dass wir alle Opfer unserer Gene, unserer Erziehung und der Umstände sind. Es ist so, als waren wir hilflose Puppen in den Händen des Schicksals. Wie oft hören wir die Beschwerde: „meine Eltern haben mich so gemacht" oder „das Trauma unter dem sie leidet, machte sie so" und auch „so bin ich eben". Natürlich haben bedeutende emotionale Ereignisse einen Einfluss auf unser Verhalten, aber wir sind keine hilflosen Opfer. Wir können uns verändern.