Die Autorität des Talmud im Judentum
Es gibt unter Christen und Muslimen ein allgemeines Missverständnis. Es ist die irreführende Vorstellung, das Judentum sei eine ´biblische Religion´, dass das Alte Testament im Judentum dieselbe zentrale Rolle und gesetzliche Autorität besäße, wie die Bibel für das protestantische oder sogar für das katholische Christentum besitzt. Die rechtliche Auslegung heiliger Texte ist im Judentum starr festgelegt – aber eher den Talmud als durch die Bibel selbst (Shahak 1994). Der Vorrang des Talmud über die Bibel kann man am Fall der schwarzen Juden Äthiopiens sehen. Die Äthiopier haben sehr viel Wissen über das Alte Testament. Allerdings ist ihre Religion so altertümlich, dass sie vor dem Talmud datiert ist, von dem die Äthiopier kein Wissen haben. Die New York Times schrieb: “Das Problem ist, dass die jüdischen Traditionen der Äthiopier nicht weiter reichen als die Bibel oder Torah; der spätere Talmud oder andere Kommentare, welche die Grundlage moderner Traditionen bilden, kreuzten nie ihren Weg.”[1] Weil sie in den Traditionen des Talmud nicht versiert sind, werden die schwarzen Juden aus Äthiopien diskriminiert und ihnen ist verboten, Ehen, Begräbnisse oder andere Dinge im israelischen Staat zu vollziehen. Es ist die natürliche Konsequenz des jüdischen Glaubens, der den Talmud gegenüber der Torah bevorzugt. Der Talmud sagt:
Erubin 21b (Soncino Ausgabe): “Mein Sohn, sei vorsichtiger, wenn du den Worten der Schriftgelehrten lauscht, als mit den Worten der Torah.”
Rabbi Adin Even Israel Steinsaltz ist der Gründer des israelischen Institutes für Talmudische Veröffentlichungen und genießt den Rückhalt israelischer Präsidenten und Premierminister; er erhielt den ehrenvollsten Preis des israelischen Volkes: den Israel Prize. Er übersetzt gerade den Talmud auf Englisch, Französisch und Russisch. Er schreibt:
“Wenn die Bibel der Eckstein des Judentums ist, dann ist der Talmud die zentrale Säule, die vom Fundament aufragt und das gesamte spirituelle und intellektuelle Bauwerk stützt. Auf zahlreiche Art und Weise ist der Talmud das wichtigste Buch in der jüdischen Kultur, das Rückgrat der Schaffenskraft und des nationalen Lebens. Kein anderes Werk besitzt einen vergleichbaren Einfluss auf die Theorie und die Gepflogenheiten des jüdischen Lebens, Gestaltung des spirituellen Gehalts, und er dient als Richtschnur für das Verhalten.”[2]
“Historisch gesprochen ist der Talmud der Zentralpfeiler der jüdischen Kultur. Diese Kultur besitzt viele Facetten, aber jeder ihrer zahlreichen Aspekte steht irgendwie in Verbindung mit dem Talmud. Dies ist wirklich nicht von der Literatur, die sich direkt mit der Auslegung oder Fortführung des Talmud beschäftigt, sondern auch aller anderen Formen der jüdischen Kreativität.”[3]
Die Wichtigkeit des Talmud und seiner Autorität kann man verstehen, wenn man in der Universal Jewish Encyclopedia liest:
“Der Talmud ist zweifellos eine der bemerkenswertesten literarischen Produktionen aller Zeiten. Er ist eine Enzyklopädie, die die ganze Szenerie des menschlichen Lebens umfasst. Es ist fast unmöglich für jemanden, der nicht Jahre damit verbracht hat, dieses komplexe Werk zu studieren, eine Vorstellung von ihrer Art zu bekommen, denn selbst die exaktesten Übersetzungen können den inneren Geist des Talmud nicht erfassen... Als Quelle des mündlich überlieferten Gesetzes wird die Autorität des Talmud von orthodoxen Juden als göttlich angesehen und daher wird er als verbindlich und unwandelbar angesehen. Konservative und reformierte Juden erkennen allerdings die absolute Verbindlichkeit des Talmud nicht an, obwohl sie die große Rolle anerkennen, den er bei der Festlegung der jüdischen religiösen Ideen und Gedenktage gespielt hat.”[4]
Herman Wouk ist ein Autor, der einen Pulitzer Preis für elf Novellen, drei Srücke und zwei non-fiktive Werke gewonnen hat. In seinem Buch “This is My God; the Jewish Way of Life”, das in der New York Herald-Tribune von 1959 als Serie erschienen war, schrieb er:
“Der Talmud ist bis zum heutigen Tage das zirkulierende Herzblut der jüdischen Religion. Welche Gesetze, Gebräuche oder Zeremonien wir auch einhalten – ob wir orthodox, konservativ, reformiert oder nur spasmodische Sentimentalisten sind – wir folgen dem Talmud. Er ist unser allgemeines Gesetz.”[5]
Die Rolle des Talmud im zeitgenössischen Judentum
Der Talmud ist kein altertümliches Dokument ohne Relevanz auf das moderne Judentum. Im Gegenteil die Encyclopedia Britannica erzählt uns, dass der Talmud mit der Wiedergeburt eines jüdischen Nationalstaates 1948 und der Wiederbelebung der jüdischen Kultur eine neuerliche Wichtigkeit erreicht hat. Das orthodoxe Judentum hat sich schon immer auf seine Studien konzentriert und ihn als absolute religiöse Autorität betrachtet. Es wurde zu einem der Ziele der religiösen (orthodoxen) Juden, dort das Gesetz des Talmud als allgemeines Gesetz des Staates einzuführen. Abgesehen von Israel bestand das oben beschriebene Rechtssystem in jüdischen Gemeinschaften weiter fort bis zum heutigen Tag. Die Rechtssprechung rabbinischer Gerichte wird von orthodoxen Juden freiwillig akzeptiert. Diese Gerichte haben weiterhin Autorität, insbesondere im familiären Bereich und in der Ernährung, in der Synagoge und in karitativen Organisationen und sozialen Aktivitäten. Außerdem haben konservative Juden auch immer am Talmud festgehalten. Daher wurde ein Netzwerk von Tagesschulen und höheren Institutionen des Lernens aufgebaut, in denen der Talmud eine Hauptrolle im Curriculum spielt. Zahlreiche junge konservative Juden suchen nun im Talmud nach Antworten auf ihre Probleme.[6]
Footnotes:
[1] N.Y. Times: Sept. 29, 1992, S.4
[2] Rabbi Adin Even Israel Steinsaltz, The Essential Talmud, S. 3.
[3] Adin Steinsaltz, The Essential Talmud, trans. Chaya Galai (New York: Basic Books, 1976) 266
[4] Herschel Revel, Librarian of the Isaac Elchanan Theological Seminary, New York, The Universal Jewish Encyclopedia, s.v. “Talmud,” Volume 10, S. 165.
[5] Herman Wouk, This is My God; the Jewish Way of Life Zitiert von Elizabeth Dilling in ´The Jewish Religion: Its Influence Today´, S. 2.
[6] “Talmud and Midrash.” Encyclopædia Britannica. 2006.